Motorrad-SchutzkleidungSicherheit ist käuflich – mit der richtigen Motorradkleidung. Doch die ist nicht leicht zu finden
Ja, es gibt sie: Jene Motorradfahrer, die gerne 10000 Euro für ein neues Gefährt ausgeben. Und denen weitere 1500 Euro für eine neue Schutzmontur zuviel sind. Eine Minderheit? Hand aufs Herz: Wie alt sind IHRE Motorradklamotten? Älter als zehn Jahre? Dann wird’s in Sachen Schutzkleidung dringend Zeit für ein Update.
Drastischer ausgedrückt: »Wer mit alter, schlechter oder billiger Kleidung Motorrad fährt, ist hirnlos.« Der das sagt, muss es wissen: Dr. Jörg Schmidt, begeisterter Motorradfahrer und Chef der Unfall-Chirurgie am Berliner Helios-Klinikum. Er hat genügend schwere und schwerste Verletzungen leichtsinniger Fahrer auf dem OP-Tisch behandelt, die sich mit dem richtigen Outfit hätten vermeiden oder mildern lassen. Seine Devise: »Beim Motorrad darf man aufs Geld schielen, bei der Sicherheitskleidung niemals!«
Überzeugt? Aber ratlos? Dann hilft ein wenig Basiswissen weiter.
Textil oder Leder ?Der Siegeszug der Textilkombis scheint unaufhaltsam: Sie sind leicht, bequem, relativ wetterfest und haben ein hohes Sicherheitsniveau erreicht. Doch selbst hochwertigstes Kunstfaser-Gewebe erreichte bei ADAC-Prüfungen nicht die Abriebfestigkeit eines guten Leders. Ein weiteres Argument spricht für Leder: Bei gut anliegenden Lederkombis sitzen die eingearbeiteten Protektoren zuverlässiger an ihrem »Einsatzort« als in den meist weiter geschnittenen Textil-Anzügen. Und was ist mit dem Hitzestau im Sommer? Dem begegnen Lederkombi-Hersteller zunehmend mit Perforierungen und »Cool Leather«, das dank Spezialbehandlung die Sonnenstrahlung abweist. Weiterer Trend: Hydrophobiertes (wasserabweisendes) Leder in Verbindung mit innen aufgebrachter Funktionsmembran (z.B. GoreTex). Das hält auch längeren Güssen stand. Übrigens: Bei strammem Dauerregen ist eine gute Regen-Überziehkombi immer noch die dichteste aller Lösungen.
Schutzpolster und Protektoren.Den Namen »Protektor« dürfen streng genommen nur Schutzpolster tragen, die nach der europäischen Norm 1621 geprüft sind. Beworben werden diese Protektoren als »CE-geprüfte Protektoren«. Ihre Aufgabe: Beim Sturz die Aufprallenergie aufnehmen, auf eine größere Fläche verteilen und ein Durchschlagen spitzer Gegenstände vermeiden. Wunderdinge darf dabei niemand erwarten. Im Idealfall mildert ein guter Protektor einen möglichen Knochenbruch zu einer heftigen Prellung und eine heftige Prellung zu einem blauen Fleck ab. Das Problem, so ADAC-Testingenieur Ruprecht Müller: »Nicht alle Protektoren, die als CE-Protektoren gelobt werden, haben für sich und in Kombination mit der jeweiligen Bekleidung das Schutzpotential, das als Stand der Technik bezeichnet werden könnte.« Beispiel: Der beste Protektor nutzt nichts, wenn er im Falle eines Sturzes verrutschen kann und an der falschen Stelle »schützt«.
Worauf also achten ?Ganz einfach: Je dicker ein Protektor ist und je größer die Fläche, die er abdeckt, desto höher die Sicherheit bei einem Unfall. Gut ausgerüstete Kombis müssen dabei keineswegs unbequem sein. Immer häufiger kommen Hightech-(PU-)Schaumstoffe zum Einsatz, die beim Tragen flexibel sind und sich erst beim Aufprall verhärten. Vorsicht vor dünnen Rückenprotektoren in zweiteiligen Low-Cost-Kombis: Sie sind nicht selten aus billigem Schaumstoff gefertigt und decken wichtige Bereiche der unteren Wirbelsäule gar nicht ab. Hier hilft nur eines: Diese Pseudo-Schützer entfernen und einen separaten, hochwertigen Rückenprotektor tragen!
Und wo sollte ein sicherer Motorrad-Anzug Protektoren haben ?Am besten an Schulter, Ellenbogen, Rücken, Hüfte, Gesäß, Knie, Schienbein und Fußknöchel. Das mag gewöhnungsbedürftig und nicht sonderlich chic sein, sicherer ist es allemal.
Tipps zur Auswahl.Wer sich neu ausstatten will, kommt um die persönliche Beantwortung der Eingangsfrage »Textil oder Leder« nicht herum. Tourenfahrer, Soft-Enduristen, Cruiser und All-Seasons-Biker werden zu Textil tendieren, sportlichere Fahrer werden mit Leder liebäugeln. Doch es gibt einen Mittelweg: Kombinationen aus beiden Materialien; sie vereinen die Schutzeigenschaften des Leders an sturzrelevanten Stellen mit der Bequemlichkeit und reichhaltigen Ausstattung von Textilanzügen. Wichtig: Stellen Sie sicher, dass Ihr neuer Anzug im Falle eines Falles wieder repariert werden kann!
Tipps zur Anprobe.Absolutes Muss: kompetente Beratung und kein Zeitdruck! Ein guter Verkäufer muss erkennen, was der Kunde wirklich benötigt, welcher Fahrertyp er ist, welche Schutzkleidung für ihn sinnvoll ist. Unbedingt mehrere Anzüge – und das stets auch auf dem Motorrad – anprobieren. Dabei kontrollieren: Drücken Falten in den Kniekehlen oder im Beckenbereich? Sitzen die Protektoren sicher dort, wo sie hingehören? Dann ein prüfender Blick auf Reißverschlüsse und Nähte: Sind sie stabil? Grundsätzlich gilt: Viele Nähte, viele Schwachstellen! Scheuergefährdete Stellen (Schulter, Ellbogen, Gesäß, Knie) müssen doppellagig verarbeitet oder besser noch mit reißfestem Kevlar ausgestattet sein. Bei Textilanzügen lohnt ein Blick auf herausnehmbare Protektoren: Tragen sie das CE-Zeichen? Weiter wichtig: Sitzt die Textilkombi noch gut, wenn das Innenfutter entfernt ist? Und passt unter das Leder-Outfit noch wärmende Funktionskleidung? Schließlich die Gewissensfrage:
Wie viel darf’s kosten ?Die Antwort ist simpel: Geiz ist nicht geil. Sicherheit hat ihren Preis.
QuelleSchutzkleidung im Test